Auf der Suche nach Quellen in den Wüsten des Lebens
Impulse aus der Mystik (nicht nur) für die Fastenzeit
Die Übersetzungen sind (z.T. leicht überarbeitet) folgenden Werken entnommen:
• Meister Eckhart: Predigten, hg. von Josef Quint: Die deutschen Werke Bde I –V. Stuttgart 1963ff.
• Johannes Tauler: Predigten, hg. von Ferdinand Vetter. Berlin 1910; übersetzt von Georg Hofmann. Einsiedeln 1979.
• Heinrich Seuse: Deutsche mystische Schriften. Aus dem Mittelhochdeutschen übertragen und herausgegeben von Georg Hofmann. Düsseldorf 1986.
Einführung
Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse - Vertreter der deutschsprachigen Mystik im 14. Jahrhundert am Oberrhein und am Bodensee - machen in ihren Werken immer wieder auf die Beziehung des Menschen zu Gott, dem Grund des Lebens, aufmerksam. Mystik ist der Weg von außen nach innen, von der Oberfläche in die Tiefe der menschlichen Existenz, vom Bereich des Sichtbaren in den inneren Raum des Unsichtbaren zur Einheit mit dem Grund, in dem sich Gott – so die Erfahrung der Mystiker - finden lässt. Die Hinwendung zum Inneren ist für die Mystiker lebenswichtig, da ihrer Überzeugung nach hier Gott dem Menschen die Kraft zum Leben gibt; die Energie, um leben zu können und den langen Atem schenkt, um Widerstände, Erfahrungen von Krankheit, Leid und Tod durchleben zu können.
Die Mystiker hören nicht auf, dies zur Sprache zu bringen. Denn der Mensch tut sich oft schwer, sich vom Leben an der Oberfläche des Sichtbaren von Welt und Mensch wegzubewegen auf den verborgenen Kern von allem hin und daraus zu leben, also aus der Mitte, aus dem Energiezentrum von allem und sich davon im Denken, Reden und Tun bestimmen zu lassen.. Gerade deshalb können die Gedanken der Mystiker uns Impulse für die Fastenzeit geben: weil sie uns aufmerksam machen auf das, was wirklich wichtig ist in unserem Leben; woher wir unsere Kraft nehmen, das Leben zu bestehen; wovon wir uns in unserem Inneren motivieren lassen; was unsere grundlegenden Einstellungen zu allem sind, kurz: was uns Halt und Vertraun gibt, das Leben mit Freude zu gestalten, die Konflikte und Krisen unseres Lebens in Hoffnung durchzustehen und die Enttäuschungen und Zeiten des Leidens geduldig überstehen zu können.
Heinrich Seuse, 10. Brief:
Wer durch die öde Wüste und durch den wilden Wald am Anfang eines auf Gott hin orientierten Lebens geht und begehrt, auf die schöne Heide eines blumenreichen vollkommenen göttlichen Lebens zu kommen, dem begegnet manche wilde Straße in der Finsternis des Waldes und mancher enge, unbekannte Weg, wo er durch Disteln und Dornen streifen muss; da gibt es manche tiefe Gräben und kleine Überstiege, wo er mit zitterndem Herzen hinüber muss. Und das ist der Weg vielfältigen unbekannten Leidens.
Meister Eckhart, Vom edlen Menschen:
Gottes Bild, Gottes Sohn, ist im Grund der Seele wie eine lebendige Quelle. Wenn aber jemand Erde, das ist das am Irdischen orientierte Verlangen, darauf wirft, so hindert und verdeckt es die Quelle, so dass man nichts mehr von der Quelle erkennt oder gewahr wird; (…) und wenn man die Erde, die von außen darauf geworfen ist, wegnimmt, so kommt sie wieder zum Vorschein und man kann sie wieder wahrnehmen.
Johannes Tauler, Predigt 24:
Der Mensch soll so tun wie der Landwirt, der im März zu pflanzen hat; wenn er sieht, dass die Sonne höher steigt, so behaut und beschneidet er seine Bäume, jätet das Kraut, kehrt sein Land um und gräbt mit großer Anstrengung. Ebenso soll der Mensch mit großer Anstrengung sich selber umgraben und sehen in seinen Grund und umkehren den Grund seines Tuns und seine Bäume behauen, das sind seine äußeren Sinne (Sehen, Hören, Fühlen), und sein Unkraut herausreißen. Er soll zuerst abhauen und ausroden Hochmut, Luxusgier, Zorn, Völlerei, Neid und Trägheit, alle Überheblichkeit innen und außen, alle Habgier, allen Zorn, Hass und Neid (…).
Johannes Tauler, Predigt 6:
Das Pferd macht den Mist in dem Stall, und obgleich der Mist Unsauberkeit und üblen Geruch an sich hat, so zieht doch dasselbe Pferd denselben Mist mit großer Mühe auf das Feld; und daraus wächst der edle schöne Weizen und der edle süsse Wein, der niemals so wüchse, wäre der Mist nicht da. Nun, dein Mist, das sind deine eigenen Mängel, die du nicht beseitigen, nicht überwinden noch ablegen kannst, die trage mit Mühe und Fleiß auf den Acker des liebreichen Willens Gottes in rechter Gelassenheit deiner selbst. Streue deinen Mist auf dieses edle Feld, daraus sprießt ohne allen Zweifel in demütiger Gelassenheit edle, wonnigliche Frucht aus.
Meister Eckhart, Reden der Unterweisung (= RdU), c. 16:
Gott sieht nicht an, was man getan hat; vielmehr ausschließlich, was die Liebe, die Andacht und das Bewusstsein darin ist. Denn es geht ihm nicht um getane Werke, sondern alleine um unser Bewusstsein in allen unseren Werken, und dass wir ihn in allem alleine lieben.
Meister Eckhart, RdU, c. 6:
Wichtig sind Fleiß, Liebe und ein Wahrnehmen seines Inneren und ein vernünftiges wirkliches Wissen davon, worauf das Bewusstsein steht in den Dingen und bei den Leuten. Dies kann der Mensch nicht durch Fliehen lernen, indem er vor den Dingen flüchtet und sich äußerlich in die Einsamkeit kehrt; er muss vielmehr eine innere Einsamkeit lernen, wo und bei wem er auch sei.
Meister Eckhart, Pr 19:
Das göttliche Wort liegt in der Seele verborgen, so dass man es nicht weiß noch hört, wenn ihm nicht in der Tiefe Gehör verschafft wird; vorher wird es nicht gehört. Vielmehr müssen alle Stimmen und Laute hinweg, und es muss eine echte Stille da sein, ein Stillschweigen.
Meister Eckhart, RdU, c. 8:
Der Mensch soll intensiv seine Vernunft bei allen Taten und Aufgaben gebrauchen, in allen Aufgaben sich seiner selbst und seines Inneren bewusst sein. Denn der Mensch soll sein, wie unser Herr gesagt hat: ‚Ihr sollt alle Zeit wachen und eures Herrn harren!‘ (…). So sollen auch wir in allen Situationen ein einsichtsvolles, verstehendes Wahrnehmen unseres Herrn haben.
Der Mensch soll das, was ihm zufällt an äußeren, sichtbaren und hörbaren Dingen, auf Gott beziehen. Wem Gott in allen Situationen so gegenwärtig ist, (…) nur der allein weiß von wahrem Frieden und hat ein wahres Himmelreich.
Und wenn der mit seinem Tun beginnende Mensch etwas bei anderen bewirken soll, muß er sich zuvor mit seiner Kraft auf Gott einstellen, ihn fest in sein Herz aufnehmen und all seine Gedanken, sein Wollen und seine Kräfte mit ihm vereinen, damit nichts anderes in ihm Platz greifen kann.
Meister Eckhart, RdU, c. 3:
Niemals entsteht Unfriede in Dir, der nicht aus deinem eigenem Willen kommt, ob Du es bemerkst oder nicht. Oft meinen wir, wir bekommen Frieden, wenn wir Bestimmtes meiden und anderes suchen: Z. B. Orte und Leute, diese Lebensform, diese Gesellschaft oder Tätigkeit - All das trägt nicht zum Frieden bei. Nicht Umstände oder Dinge hindern Dich: Du bist es in allem selbst, was Dich hindert. (…) Darum fange zuerst bei Dir selbst an und lasse von Dir ab. Ja: Wenn Du nicht zuerst von Dir selbst loskommst, wohin Du auch fliehst, so findest Du in allem nur Hindernisse und Unfrieden. Wer Frieden in äußeren Dingen sucht, an Orten, in Lebensweisen, an Menschen oder Taten, - wie groß und beschaffen diese auch sind: das ist alles nichts und gibt keinen Frieden.
Meister Eckhart, RdU, c. 23:
Viel seliger ist, wer auf Besitz verzichten kann und ihn nicht nötig hat; seliger als der, der meint, alles unbedingt haben zu müssen. Der Mensch ist der beste, der entbehren kann, was für ihn nicht lebensnotwendig ist. Darum: wer am meisten entbehren und verzichten kann, hat am allermeisten gelassen.(…) Zudem sollen wir alles haben, als ob es uns nur geliehen und nicht gegeben sei; ohne jeden Eigenbesitz, ob Leib oder Seele, Sinne, Kräfte, äußere Güter oder Ehren, Freunde, Verwandte, Haus, Hof und alle Dinge.
Meister Eckhart, RdU, c. 23:
Denn je mehr wir an Dingen besitzen, desto weniger ist er, Jesus Christus, uns zu eigen; und je weniger wir in Liebe an den Dingen hängen, desto mehr haben wir ihn mit allem, was er uns bieten kann. Darum: Als unser Herr von allen Seligkeiten reden wollte, setzte er die Armut des Geistes an die Spitze von allem - zum Zeichen dafür, daß alle Seligkeit und alle Vollkommenheit stets und überall ihren Beginn in der Armut des Geistes haben.
Ludolf von Sachsen, Das Leben Jesu Christi. Freiburg 1994, Einleitung:
Lege alle Unruhe und Sorge ab und vergegenwärtige dir,- mit der ganzen Hingabe deines Herzens, in Ruhe verweilend - was der Herr gesagt oder getan hat und was im Evangelium erzählt wird, als hörtest du es mit eigenen Ohren und sähest es mit deinen Augen. (…) Betrachte alle Ereignisse im Evangelium, als geschähen sie in der Gegenwart, selbst wenn viele in der Vergangenheit erzählt werden.
Heinrich Seuse, Vita, c. 13:
Er begann mit der Betrachtung des letzten Abendmahls und nahm teil am Leiden Jesu mit Geduld, bis er mit ihm vor Pilatus stand. Zuletzt begleitete er den Verurteilten ins Gericht und schritt mit ihm hinaus zu dem jammervollen Kreuzweg, den er bis unter das Kreuz tat.
Meister Eckhart, RdU, c. 17:
Unserm Herrn soll man billigerweise nachfolgen und doch nicht in jeder Weise. Unser Herr, der fastete vierzig Tage in der Wüste; niemand aber soll es unternehmen, ihm darin zu folgen. Christus hat viele Werke getan in der Meinung, dass wir ihm geistig und nicht leiblich nachfolgen sollen. Darum soll man bemüht sein, dass man ihm in geistiger Weise nachfolgen könne; denn er hat es mehr abgesehen auf unsere Liebe als auf unsere Werke. Wir sollen ihm je auf eigene Weise nachfolgen.
Johannes Tauler, Pr 57:
Wenn nun die äußeren groben Übel (Hochmut, Geiz, Zorn, Eitelkeit etc.) beseitigt sind, bleiben im Grund unserer Interessen allerdings noch die Muster, Einstellungen und Auffassungen der früheren Gewohnheiten;
• die soll der Mensch vertreiben, indem er sich Jesus mit seinem Handeln vorstellt; und
• er soll die Anhänglichkeit an jene gewohnten Muster und Auffassungen durch die Anhänglichkeit an unseren Herrn ersetzen und
• er soll die Vorstellung von Jesu Person und seines Lebens so innerlich und mit so großer Andacht in den Grund der Seele ziehen und einprägen, dass alle Ungleichheit mit dem göttlichen Vorbild im Seelengrund zunichte und ausgelöscht werde.